Schloss Colditz

Heute Musik-Schloss und Europäische Jugendherberge

Über 300 Fluchtideen und –Versuche erzählt die Schlossgeschichte. Selbst mit einem Segelgleiter aus Holz und Papier, versteckt unterm Dachboden gebaut, wollten sie sich in die Freiheit stürzen. Wenn auch nicht damit, so schafften es spektakulär wie trickreich doch 31 der gefangenen hochrangigen Offizieren der Alliierten, britische, französische, polnische, Belgier und Holländer - in Summe bis 1000 - aus der hochbewachten, als fluchtsicher geltenden Burg, in ihre Heimat zurück zu entkommen. Waren auch die sechs Jahre von 1939 bis Ende des Zweiten Weltkrieges als Offizierslager–OFLAG der Wehrmacht ein sehr kurzer, unrühmlicher Abschnitt in der fast tausendjährigen Geschichte von Colditz, so sind sie doch nachhaltig bis heute als Touristenmagnet. Bis Zweidrittel der rund 20.000 Besucher des Schlosses im Jahr kommen aus dem Ausland, viele aus England, wo ‚Castle Colditz‘ Legende ist, mit ruhmhaften Fluchtgeschichten sogar im Lehrplan der Schulen geführt wird.

Viele Bestimmungen hatte die auf einem Felssporn oberhalb der Zwickauer Mulde gelegene imposante Schlossanlage, ein weithin sichtbares Wahrzeichen der heute etwa 5.000 Einwohner zählenden Stadt Colditz. Erste Erwähnung erfuhr sie 1046 als Burgwarde in einer Schenkungsurkunde Kaiser Heinrichs III. an seine Gemahlin Agnes von Poitou. In den folgenden reichlich 300 Jahren wechselten die Eigentümer häufig, bis das Schloss 1404 in den Besitz der Wettiner überging. Im 16. Jahrhundert wurde es wiederholt ausgebaut und prächtig zum Jagdschloss im Renaissancestil hergerichtet. Bis 1753 blieb das Schloss Witwenresidenz sächsischer Kurfürstinnen, entsprach danach nicht mehr dem Zeitgeist und wurde aufgegeben. Alles Inventar wurde in Vorbereitung einer neuen Nutzung 1787 verkauft. Im 19. bis 20. Jahrhundert diente es erst als Straf- und Versorgungsanstalt, später als Irrenhaus, Verwahranstalt für unheilbar Geisteskranke, als Heil- und Pflegeanstalt und zuletzt als Krankenhaus. Für kurze Zeit war es in früher Nazizeit ‚Schutzhaftlager‘, Vorläufer der Konzentrationslager, bis es zur geschilderten traurigen Berühmtheit als Gefangenenlager kam.

Die imposante Schlossanlage erhebt sich aus steil aufragenden Gebäuden verschiedener Bauepochen, dazu einem Schlossturm, die zwei Höfe umschließen. Die Schlosskapelle im hinteren der Höfe ist bei Führungen in verfallener Einrichtung und Farben aus den 20iger Jahren des 20. Jahrhunderts zu besichtigen. In dieser Fassung wird sie restauriert. Heute bietet sie die Attraktion Einblicke zu geben in den 44 Meter langen Tunnel, den Franzosen für eine nicht geglückte Flucht gegraben hatten. In nahezu kriminalistischer Puzzlearbeit hat Regina Thiede, die als Museologin seit 2003 das Schloss betreut, die Ausstattung der Kapelle ‚virtuell‘ rekonstruiert. Künftig kann so der Kirchenraum im Aussehen zu seiner prachtvollsten Zeit der Renaissance erlebbar gemacht werden mit digitaler Videoprojektion. Früher weinberankte Terrassen auf der Südseite und ein ummauerter Park umschließen das Schloss. Mit Wildtierbesatz, Hirsch und Dammwild ehemals, gilt er als der erste Tier- und Jagdgarten in unserem Raum.

Herberge und Musik
Nach Übergang des Schlosskomplexes im Jahr 1991 in das Eigentum des Freistaates Sachsen, ab 1996 unter Obhut der Schlösser- und Gärtenverwaltung, 2003 des Schlossbetriebes, wurden für die Großgebäude erfreulich friedliche Nutzungen gefunden. Für die Errichtung der Europa-Jugendherberge bot der Nordostflügel im vorderen Schlosshof die besten Voraussetzungen. Dieser wurde im Jahr 1864 an Stelle älterer Stall- und Wirtschaftsgebäude als Krankenhaus im Stil der Neorenaissance errichtet. Das Gebäude steht heute unter Denkmalschutz, dem beim Ausbau weitgehend Rechnung getragen werden konnte. Wegen der früheren Nutzung als Krankenhaus war die Gebäudestruktur auch günstig zur Umnutzung in eine Herberge. Auf vier Vollgeschossen entstanden in Zwei- bis Sechsbettzimmern mit eigenen Sanitärzellen 161 Übernachtungsplätze. Speisung wird den Gästen – deren Alter heute nicht mehr begrenzt ist – in einem Restaurant bester Küche geboten. Mit Fertigstellung der Einbauten 2007 nahm der Pächter, das Deutsche Jugendherbergswerk die Nutzung als Europa-Jugendherberge auf. Mit noblem Schlossambiente hat sie inzwischen den Ruf zu den 10 spektakulärsten in der Welt zu zählen. Dazu mit Beherbergungspreisen unter westdeutschem Niveau ist sie für heuer bereits so gut wie ausgebucht.

Auch in das Marstallgebäude am vorderen Schlosshof aus dem 16. Jahrhundert, 1864 umgebaut zum Krankenhaus, zieht neue Nutzung ein. Nach weitgehender Entkernung zum Innenausbau entstand in zweieinhalbjähriger Bauzeit Sitz und Probenort der Sächsischen Landesmusikakademie. Deren Träger ist der Sächsische Musikrat e.V., an den das Objekt zu einem symbolischen Euro verpachtet ist. Fürs Musizieren in elf Probenräumen, dem Tonstudio und einem großen Kammermusiksaal mit etwa 100 Zuhörerplätzen, wurde besonders auf optimale Licht-, Klima- und Akustikbedingungen geachtet, wie auch die Verwaltungs- und Technikräume und das Instrumentenlager sachgemäß gestaltet sind.

Der Freistaat wandte für diesen Ausbau 3,4 Millionen Euro auf, 5,6 Millionen für die Jugendherberge. Diese Investitionen einschließend, sind seit 1991 insgesamt 27 Millionen in Sicherung, Sanierung und Nutzungsausbau des Schlosskomplexes geflossen. Christian Striefler, Direktor der Staatlichen Schlösser, Burgen und Gärten Sachsen, verspricht sich von der Akademie und der Herberge, die sich synergetisch optimal ergänzen, positiv ausgehende Impulse für das Schloss selbst sowie für die ganze Region im Muldental. Im Inneren des historischen Schlosses bedürfen noch viele leerstehende Räume der Sanierung. Wie auch die Bauforschung dort weitere Aufgaben hat; Regina Thiede mit Entdeckerfreude „… unter Schichten von Schalungen fanden wir wunderschön dekorierte Lehmschlag- vermutlich vom Anfang, und Holzbalken-Decken vermutlich vom Ende 16. Jahrhunderts, deren Restaurierung lohnend wäre.“

Museum und Führungen: Gesellschaft Schloss Colditz e.V.





Diese Website benutzt nur technisch zwingend notwendige Cookies und Informationen, die für den Betrieb der Seite unbedingt erforderlich sind.