Nöthnitz in Nöt(h)en

Kulturerbe in Gefahr

Nöthnitz01Johann Joachim Winckelmann schaffte es vom armen Schusterssohn zum obersten Antikenaufseher im Vatikan. Dresden schaffte es nicht, den authentischen Ort vor seinen Toren (Schloss Nöthitz in Bannewitz) des Wirkens von Winckelmann als Kulturerbestätte zu bewahren. Zum 300 Jahre Geburtsjubiläum Winkelmanns (* 9.12. 1717) gab es in Dresden kein Gedenken.

veröffentlicht: Sächsische Immobilienzeitung 5/2017, Seite 8 (kurze Fassung)

Authentischer Gedenkort für Reichsgraf Heinrich von Bünau und Johann Joachim Winckelmann


Es war die Vision des Freiherrn Viktor von Finck, den Grafen Heinrich von Bünau heimzuholen. Lebensgroß im Bildnis an dessen angestammte Wandstelle im originalgetreu restaurierten barocken Festsaal des Schlosses am idyllischen Nöthnitzbach. Das von Lous de Sylvestre gemalte Bünau-Bild, als Dauerleihgabe der Staatlichen Kunstsammlungen an den Ort seiner Herkunft gegeben, ist seit 2009 abgezogen wieder zurück im Depot der Kunstsammlungen in Dresden. Wegen eines dramatischen Eigentümerwechsels mit tragischen Folgen für den von Viktor von Finck in Nöthnitz wiederbelebten Familienbesitz und das kulturelle Erbe des Kleinods vor den Toren Dresdens.

      Bekannt geworden war der Sitz Nöthnitz im 18. Jahrhundert als Stätte der Kultur und Forschung durch die Namen Reichsgraf Heinrich von Bünau (1697-1762) und Johann Joachim Winckelmann (1717-1768). Bünau hatte sich einen Namen gemacht als Historiker, der die erste »Teutsche Kayser- und Reichs-Historie« verfasste. Winckelmann war der gelehrteste von drei Bibliothekaren für die auf 42 000 Bände angesammelte Bibliothek des Grafen. Seine bei weiterer Karriere in Rom - er brachte es zum Präfekten der Kunstsammlungen des Vatikans - entstandene »Geschichte der Kunst des Altertums« prägten den Vordenker des Klassizismus zum Begründer der klassischen Archäologie und der Kunstgeschichte.

      Der sächsische Kammerherr Bernhard von Könneritz, vereheiratet mit Maria-Louise von Finck, erwarb die aus dem 17 Jahrhundert stammende dreiflügeliche Schlossanlage mit der dazugehörigen Landwirtschaft. Damit kam erstmals der Name von Finck nach Nöthnitz. Mit dem Kauf des Ritterguts im Jahr 1870 durch Rudolf Carl von Finck wurden die Freiherren von Finck die Herren auf Nöthnitz. Begünstigt durch die Nähe zu Dresden bauten Sie das Gut zu einem erfolgreichen landwirtschaftlichen Unternehmen aus. Mit Aufnahme Bünau’scher Tradition richteten Sie in den angestammten Sälen des Schlosses wieder eine Biblithek ein. Sie modernisierten und erweiterten die Anlage. Das Herrenhaus erhielt im Innenhof einen erschließenden Uhrturm mit Wendelstein und die markanten Eckerkertürmchen mit Spitzdächern. Sie markieren ein charakteristisches Dreispitzbild, wenn man sich dem Schloss von der Schauseite her nähert. Im Schicksalsjahr 1945 wurde die Familie der von Fincks vertrieben und im Zuge der Bodenreform enteignet.

      Nach der Wende kam als einzig rechtmäßiger Erbe Freiherr Victor von Finck (1920-2010) 1991 zurück nach Nöthnitz, zunächst als Mieter im Schloss. Erst 1997 gelang ihm der Rückerwerb des Haupthauses und mit seinem Park vom Freistaat Sachsen zu einem Preis von 600 Tausend Mark. Die sonstigen Wirtschaftsgebäude und Ländereien des Guts fielen ins Eigentum der Gemeinde Bannewitz. Auf eigenes Risiko hatte man mit Hilfe von Spenden und Förderern geschätzt eine dreiviertel Million Mark in Sanierung und erste Restaurierungen gesteckt. Maßgeblich dabei war Dr. Wolfgang von Wangenheim, prominenter Kunsthistoriker, Sammler, Winckelmann-Experte, der sich mit sukzessivem Restaurieren und Ausstatten der Räume in der Beletage des Herrenhauses einbrachte und auch seine Kunstsammlung ins Schloss gab. Der große Saal und die blauen Räume erhielten ein Gutteil ihres einstigen Aussehens und ihren Glanz zurück, der Besucher sich zurückversetzten ließ in die Zeit Winckelmanns und des Grafen Bünau, welcher im Bildnis Sylvestres wieder an der Wand des Festsaal zu sehen war.

      Zum Gedenken an Winckelmann und Bünau schon 1991 gegründet, sorgte der Verein 'Studienstätte Schloss Nöthnitz e.V.' mit erheblichem Engagement von Bannewitzer Bürgern für Veranstaltungen, die an Vielfalt und Zahl zunahmen: Ausstellungen zum Wirken der beiden Protagonisten, alljährlich ein Winckelmann-Festvortrag an seinem Geburtstag, kunstwissenschaftliche Vorträge. Aber auch mal auch kleine Kammermusiken, stilvolle Kaffee-Nachmittage zum Rundgang im kleinen Schlossmuseum machten die Kunststätte bekannt und publikumsbeliebt. Auch konnte eine nicht unbeträchtliche kunsthistorische Bibliothek mithilfe von Buchspenden wieder aufgebaut werden, die auch Kunststudierende nutzten, die sich in den ‚Studentenbuden‘ des Hauses eingemietet hatten. Eine komfortable Stipendiaten-Wohnung wurde eingerichtet, doch schon für die Finanzierung eines Winkelmann-Stipendiums fehlten die Mittel in der immer knapperen Schatulle des Freiherrn. Mit all diesem Leben kam Schloss Nöthnitz dem näher, was es einst gewesen war: Ein Zentrum von kultureller Bedeutung für Sachsen. Auch privat konnten Veranstaltungen in kulturvollem Ambiente gebucht werden. Hochzeiten auf Nöthnitz wurden beliebt.


Eine besondere Hochzeit

im Jahr 2005 überraschte dann doch. Zum Mann hatte sich den hochbetagt adeligen Schlossherren die um vieles jüngere Frau Bärbel Stephan genommen - Presse kolportierte eine "Liebeshochzeit". Die 1988 in Halle zur Kunsthistorikerin promovierte war bis 2006 Oberkonservatorin der Skulpturensammlung an den Staatlichen Kunstsammlungen gewesen. Man bezog den für Hochzeitsübernachtungen vorgesehenen Trakt, wodurch eine Einnahmequelle entfiel. Man organisierte um, setzte Schwerpunkt auf Spaß - Kultur fiel zurück. Der mäzenatisch fördernde Winckelmannfreund Wolfgang Wangenheim war bald verprellt, zog sich zurück und seine Sammlungen bald ab. Auf die Bühne des anlaufenden Dramas um den Familienbesitz trat ein Kunsthandelspartner aus früherer DDR-Zeit, Ulrich Böduel, der in Gewebelisten der Stadt Naumburg als Restaurator geführt ist und sich inzwischen als "Kunstdetektiv" einen Namen gemacht hat. Er bekam die Geschäftsführung übertragen für den alten Herren Viktor von Finck. Der wurde in Nebenräume ausquartiert, später nach Unfall und Erkrankung in ein Heim in Graupa ausgelagert.

      Ein lange schon verfasstes, vertraglich abgesichertes Stiftungskonzept für die Zeit nach einem Tod des Besitzers war nicht zum tragen gekommen - aus Uneinigkeit und finanziellen Gründen. Auch hatte sich die Gemeinde Bannewitz außerstande gesehen, mit einem Darlehen beizutreten. Schloss Nöthnitz erschien in den Angeboten eines europaweit handelnden Radebeuler Immobilienunternehmens und bald schon tauchten in Nöthnitz Kaufinteressenten an der Immobilie auf. Am Gründonnerstag 9. April 2009 unterschrieb der Freiherr den Verkauf. Mit der Grundbucheintragung am 26. September des Jahres ist dann sein Lebenswerk in den Besitz des Unternehmers Jan David Horsky aus Österreich und Tschechien übergegangen. Gemunkelt wird über einen Betrag von einer halben Million Euro. Den Besitz der beweglichen Güter auf dem Schloss, hatte die jungvermählte Dr. Freifrau Bärbel von Finck auf sich übertragen und dies am Krankenbett kurz vor einer Operation Ihres Gemahls notariell besiegeln lassen. Dadurch das Ihre geworden, verkaufte sie das wertvolle Sylvestre-Bild vom Reichsgrafen Bünau an die Kunstsammlungen Dresden. Freiherr Viktor von Finck starb am 27. April 2010.

     Das mit Idealismus und Engagement ins Leben zurück gerufene Kulturleben auf Schloss Nöthnitz wurde durch die neuen Besitzer „abgewickelt“. Öffentlich nicht mehr zugänglich, verharrt der Schlosskomplex in einem äußerlich ungepflegten, heruntergekommen Zustand. Schieferplatten der Dachdeckung beginnen abzufallen. Die weiteren Gebäude des vormaligen Guts, über die Jahre fortschreitend verfallen, sind heute schon unrettbare Ruinen. Die Chance für Sachsen, an diesem historischen Ort eine bedeutende Gedenkstätte für Winckelmann und seinen Gönner Heinrich von Bünau zu errichten, ist - bis auf weiteres - vertan. (9.9.2017 Bäu)



anonym zugespielt:

Klassisches aus dem Klassizismus-Schloss oder Illusion und Wirklichkeit auf Sachsens Boden

Wer von klassischer Kunst spricht, hat als kennzeichnendes Merkmal meist eine Zeitlosigkeit, eine Maßgeblichkeit vor Augen. Das heißt aber eben „klassisch“ weniger als eine Stilrichtung der Kunst unter anderen zu bestimmen, sondern mehr die Idee der Erlernbarkeit und Vervollkommenbarkeit ins Zentrum zu stellen und damit Begriffe wie Meister und Schülerschaft, Verfallsepoche und Blütezeit. Siehe wikipedia, so kann man es nachlesen im online lexikon.

Noch einfacher ist es dieser Tage in einem idyllischen Schlösschen an Sachsens lieblichen Erzgebirgsausläufern zu erleben:
Ein Herr, mittellos, Pensionär, Abkömmling einer Familie, die vor dem Zweiten Weltkrieg noch in Dresden ansässig war und einen Namen hatte, verlässt sein inzwischen vertraut gewordenes Heim in der Fremde, um der 50 Jahre währenden Abwesenheit von eigener Identität infolge Vertreibung von Haus und Hof der Väter ein Ende zu setzen. Die alte Heimat, gerade erst zum Bestandteil der Bundesrepublik geworden, ist die Marschrichtung. Hinzu gesellte sich ein Herr, mit Mitteln, scheinbar unbegrenzt, Kunstsinn auch und dem Interesse für die historische Bedeutung des Ortes. Er gab sein Hab und Gut für das Errichten einer Stätte des Gedenkens an zwei große Männer und deren Leidenschaften.

Des einen Leidenschaft war das Aufbauen einer Bibliothek mit dem Wissen der damaligen Zeit, wobei sein Anspruch darin lag, ein möglichst umfassendes Bild aller Wissensgebiete zu schaffen.  
Dieser Anspruch entsprach schon im Keim den Gedanken der Aufklärung, in der Großmannssucht und Hang zu Monumentalität im barocken Zeitalter keinen Stellenwert mehr hatten.

Der andere große Mann hatte es durch das Studium von geistigen Größen der Geschichte und seiner Zeit zu Erkenntnissen gebracht, die den Intentionen des erstgenannten geistesverwandt waren.
Nicht durch die Darstellung äußerlicher Pracht und Macht wird der menschlichen Existenz ein Denkmal gesetzt. Sondern äußere Schönheit und Anmut erst gepaart mit Erkenntnis und daraus folgend Demut und Bescheidenheit, kurz, das Entstehen innerer Werte verleiht der menschlichen Existenz Denkmalcharakter. Vollkommene Schönheit als Erkenntnisprozess also. Hehre Ziele.

Das Leben begann - man war wer - au chateau ohho. Ein Verein wurde gegründet, dadurch gab es öffentlichen Applaus und wieder Geld. Der erste Herr, der Rückkehrer, heiratete ein spätes Glück. Und diese Illusion des schönen Scheins an seiner Seite machte sich daran, ganz ohne Illusionen ihre Pfründe zu sichern. Als erstes wechselte berühmter 300 Jahre alter Familienschmuck in das Handtäschchen des Bäckereitöchterleins.
Sodann sicherte man sich ein Wohnrecht und ließ sich vorsorglich einen Ersatz für mögliche finanzielle Nachteile infolge Eheschließung auszahlen. Sodann begann man, die neue Umgebung zu bereinigen.
Man mobbte hier, man mobbte da , der alte Herr war entzückt über die Aktivität an seiner Seite: „Meine reizende Gemahlin...richtet alles so neu.“

Es kam zum beabsichtigten Bruch mit dem Herrn mit den vielen Mitteln, dem bis dahin Gestaltung und Ausstattung der altehrwürdigen Stätte oblegen hatten. Ein möglicher echter Konkurrent nach Ableben des eigenen teuren Herrn Gemahls?  Altgediente Mitarbeiter verließen mit Schimpf und Schande das Haus, ein neues Netz spann sich fest um den alten Herrn, Madame war gut beraten, der unvermeidliche Kunsthändler war auch schon im Schlepptau, er wurde sogar zum Geschäftsführer der Geschäfte des alten Herrn gekürt. Der alte Herr erkrankte und das Geschäft nahm seinen Lauf; ein Makler trat hinzu, beriet hier und da, und man beschloss fern jeglicher dynastischer Überlegungen den Verkauf. Es gelang: es fand sich jemand, der, zu Geld gekommen, seiner neuen Identität mit dem Kauf von Schlössern Glanz zu verleihen trachtete.
Und so ist das alte Gemäuer auf einmal gut genug für beziehungsloses Selbstdarstellen von Parvenüs oder das Verwenden illusionärer Dekorationslust, um der Wirklichkeit einen vergoldeten Mantel umzuhängen.

In zwei Jahren hätte man sagen können: 20 Jahre hatte es - nun wieder – eine glückliche Zeit gehabt. Viele Helfer und Sympathisanten hatten sich davon begeistern lassen , was der berühmteste Bewohner des Hauses um 1750 mit seiner Schrift über Nachahmungen von Werken der Kunst des Altertums formuliert und auch gelebt hatte: Die Kunst muss aufhören, ein Reservat reicher ihren hedonistischen Neigungen frönender Mäzene zu sein; sie muss wieder zu einer Pflegestätte der Wahrheit, des Ernstes und der Einfachheit werden. Wohlan!  (anonym 2009)





Diese Website benutzt nur technisch zwingend notwendige Cookies und Informationen, die für den Betrieb der Seite unbedingt erforderlich sind.